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Reinhold-Tüxen-Preis Presseartikel SZ 24.01.2009

d824806447Vernichtung geht schneller als die Erforschung

Vorsitzender der Tüxengesellschaft über Artensterben, Klimawandel und Aliens in Gärten und Wäldern

Rinteln (wm). Vegetationswissenschaft war lange Jahre ausschließlich eine Sache für Experten. Doch seit die Klimaerwärmung Thema in allen Medien ist, sind auch die Vegetationswissenschaftler, die sich im Mai zu ihrem neunten Symposium in Rinteln treffen, in den Blickwinkel der Öffentlichkeit gerückt.

Dass sich das Erdklima erwärmt, daran hat auch Professor Dr. Richard Pott, Vorsitzender der Tüxengesellschaft, keinen Zweifel. Dass es in Europa wärmer wird, dafür haben Potts Kollegen viele Indizien gesammelt. Pott nennt als Beispiele: Die deutsche Stechpalme habe sich inzwischen bis nach Schweden und Norwegen ausgebreitet, die Hanfpalme aus China sei inzwischen im Süden heimisch.

d943951047Doch in den Chor der Weltuntergangspropheten, die in der Klimaerwärmung die globale Katastrophe sehen, mag Pott trotzdem so nicht einstimmen. Die Datenlage sei einfach noch zu dünn, um präzise Szenarien vorherzusagen. Um beispielsweise gesicherte Aussagen über Veränderungen in der Vegetation zu machen, brauche es eines Beobachtungszeitraums von mindestens 30 Jahren. Vegetationsgeschichtler seien deshalb bei Zukunftsprognosen etwas zurückhaltender.

Außerdem dürfe man nicht vergessen, Klimawandel sei grundsätzlich erst einmal etwas völlig normales, Klimawandel habe es immer gegeben: "Die Römer haben Europa in Sandalen erobert, während eines Wärmeoptimums um Christi Geburt, die Wikinger in Grönland Getreide angebaut, wie es zurzeit wieder passiert". Im August, berichtete der Professor, sei er selbst in Südgrönland gewesen und habe dort Getreidefelder fotografiert - im Hintergrund die Eisberge.

Die Wissenschaftler beobachten noch ein anderes Phänomen, das es in diesem Tempo bisher nicht gegeben hat: Die Vegetation globalisiert sich, Neophyten, also standortfremde Pflanzen, die Aliens, gebe es inzwischen überall und daran sei der Mensch unmittelbar beteiligt. Entweder, weil er heimische Pflanzen zu anderen Kontinenten mitnimmt oder weil Pflanzen mit den internationalen Warenströmen mitwandern. Nur selten machen solche Pflanzen Schlagzeilen wie der Riesenbärenklau in Deutschland, der Kirschlorbeer, der das heimische Unterholz in den Wälder verdrängt oder die armenische Brombeere, die Brachflächen praktisch unbetretbar macht.

Besonders bedrohlich sei das für die Südhalbkugel, sagt Pott, denn europäische Pflanzen gebärdeten sich sehr aggressiv. In Australien werde die armenische Brombeere deshalb auch "Botanik rabbid" genannt, weil sie für die Landschaft ähnlich verheerend sei wie das ebenfalls einmal von den Engländern eingeschleppte Kaninchen.

Das Dänische Löffelkraut (Cochlearia danica) beispielsweise sei eigentlich ein Gewächs der Salzwiesen am Watt. Doch wer, wie es ein Kollege gemacht habe, heute eine Kartierung des Löffelkrauts in Deutschland vornehme, erhalte praktisch eine genaue Karte des deutschen Autobahnnetzes. Ursache sei die Versalzung der Straßenränder durch den Winterstreudienst.

Doch was Vegetationswissenschaftlern am meisten Sorgen bereite, seien die großräumigen Eingriffe der Menschen in die Natur. Pott: Die Artenvielfalt im Regenwald geht schneller zurück, als Wissenschaftler neue Arten erforschen können". Es sei ein Irrglaube, wir hätten längst alles entdeckt und beschrieben, was auf der Erde wächst und lebt. Pott: "Wenn sie heute in den Regenwald gehen, können sie in einer Woche zehn neue Arten entdecken". Die Ökologie und Artenvielfalt des Regenwaldes, den es schon gegeben habe, als Europa unter einem Eispanzer begraben lag, sei so komplex, dass sie bis heute nicht vollständig erfasst worden sei. Und abgeholzt werde ja nicht nur im großen Stil der Regenwald, sondern auch die Nadelwälder in Russland - und China gehe man auch nicht gerade pfleglich mit der Natur um. Für die Frage, wann das Artensterben für das gesamte Ökosystem bedrohlich werden könne, gebe es ein anschauliches Bild: Auch wenn Nieten fehlten, könne ein Flugzeug durchaus noch fliegen - bis es zu viele werden oder Nieten an wichtiger Position ausfallen. Dann stürzt es ab.

© Schaumburger Zeitung, 24.01.2009