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Reinhold-Tüxen-Preis

Presseartikel SZ vom 07.05.2009


"Wie die Bestandsaufnahme in einer brennenden Bibliothek"


Rinteln.(wm) Eigentlich ist der Preisträger 2009 des Tüxen-Preises für Vegetationswissenschaftler von Haus aus Musikwissenschaftler, doch dann fand er Wallhecken spannender: Professor Dr. Heinrich Weber aus Bramsche wird am morgigen Freitag, 8. Mai, um 15 Uhr im Ratskellersaal den mit 5000 Euro dotierten Reinhold-Tüxen-Preis der Stadt Rinteln entgegennehmen.
In Webers Elternhaus standen neben einem Klavier auch Aquarien und Terrarien. Weber mochte beide Welten – und das prägt. So wurde Weber zunächst ein ausgezeichneter Pianist, legte das erste Staatsexamen für Musik im Höheren Lehramt ab, parallel dazu das 1. Staatsexamen für Biologie. Und Biologie faszinierte ihn am Ende dann doch mehr als die Musik und er machte Botanik zu seinem Hauptberuf.

Mit seinen Studien über Wallhecken, in Schleswig-Holstein „Knicks" genannt, wurde Weber in der Vegetationswissenschaftsszene berühmt. Und Weber entdeckte nicht nur, dass hier Brombeeren eine dominierende Rolle spielen, sondern auch gleich etliche neue Arten, die teilweise nach ihm benannt worden sind, wie Rubus henrici-weberi Beek in den Niederlanden.

Weber lehrte als Professor an der Universität Osnabrück, Abteilung Vechta, bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2000. Er hat unzählige Ehrungen erfahren und allein die Liste seiner wissenschaftlichen Veröffentlichungen ist eine handliche Broschüre für sich.

Am Freitagabend gibt es nach der Feierstunde im Ratskeller dann ab 20 Uhr im Brückentorsaal einen speziellen Vortrag von Professor Dr. Joachim Hüppe aus Hannover, zu dem ausdrücklich alle interessierten Bürger eingeladen sind. Hüppe will über die Biodiversität in Niedersachsen informieren, das heißt, die komplexe Pflanzenwelt des Landes vom Wattenmeer und den Inseln bis zu den Mooren und Mittelgebirgen vorstellen.

Am Wochenende treffen sich dann rund 70 Wissenschaftler im Brückentorsaal zu einem Symposium und beschäftigen sich in Einzelvorträgen unter anderem mit den positiven und negativen Folgen von biologischen Invasionen wie den Veränderungen der mitteleuropäischen Agrarlandschaft seit den fünfziger Jahren. Bei allen Vorträgen zum Thema „Biotische Vielfalt" geht es im Prinzip um die Erkenntnis, dass man nach wie vor nicht wirklich weiß, wie viele Organismenarten es auf der Erde gibt. Die Artenerfassung ist noch in vollem Gang und gleicht inzwischen mehr und mehr der Bestandsaufnahme von Büchern in einer Bibliothek, die bereits in Flammen steht.

Professor Dr. Richard Pott von der Tüxen-Gesellschaft aus Hannover, sonst eher ein zurückhaltender Wissenschaftler, der Katastrophenszenarien eigentlich nicht laut hinausposaunt, formulierte das so: „Derzeit steckt die Biosphäre in einer tiefen Krise, da die biotische Vielfalt dramatische Verluste erleidet durch Waldrodung, Gewässerverunreinigung, Flächenversiegelung, Übernutzung und vieles andere mehr. Die Vielfalt der Ökosysteme unserer Erde nimmt offenbar stark ab und es ist offensichtlich, dass viele Arten aussterben, bevor irgendjemand von ihrer Existenz, ihrer ökologischen Bedeutung, ihren biologischen Potenzialen und Wirkungen Kenntnis genommen hat."

© Schaumburger Zeitung, 07.05.2009