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Engern

Ein rätselhafter, bemerkenswerter Mann namens Mirabilis, übersetzt „der Wundersame" lebte um 1160 im heutigen Schaumburger Land und war neben den Grafen einer der mächtigsten und wohlhabendsten Herren im Gebiet zwischen Hameln, Minden und dem Steinhuder Meer. Doch Mirabilis war nicht nur reich, sondern auch großherzig. Vielleicht hat er auch sein bevorstehendes Ende bereits gespürt und war um sein Seelenheil besorgt. Tatsache ist jedenfalls, dass jener Mirabilis um 1160 entschied, seinen gesamten Besitz dem Bistum Minden zu schenken, ein Anlass, für den eine Urkunde aufgesetzt wurde, der verschiedene Orte im Schaumburger Land ihre Ersterwähnung verdanken. Neben den umfangreichen Ländereien und Besitzrechten, die der Adelige nun zu mildtätigen Zwecken spendete, fand auch ein „Engeren" in der Nähe von „Renthelen" Erwähnung.

Zweifellos war Engern da schon Jahrhunderte älter, wobei die vielen mehr als 2000 Jahre alten Funde im Bereich des Brinkhofs genau dort die älteste Siedlungsstelle im Ortsgebiet vermuten lassen.

Der eigentliche Ort in der Weseraue entstand wohl in germanischer Zeit auf einer sandigen Anhöhe im Bereich der heutigen Straße am Schweinemarkt. Hier befand sich der für den Engern namensgebende Anger, also eine der Gemeinde gehörige Weidefläche mitten im Ort, um die herum sich die Siedlung entwickelte. Erst im 19. Jahrhundert wurde diese Wiese mit kleinen Hausstellen überbaut. Inmitten der fruchtbaren Auenlandschaft gelegen, entwickelte sich Engern in der Folgezeit ausgehend vom Hof Nr. 1 nach und nach zu einem florierenden Dorf, das anders als die benachbarten Siedlungen Stidern und Northeim auch die Wüstungsphase des Spätmittelalters überdauerte und - im Gegenteil -offenbar sogar von ihr profitierte. Denn während andere Dörfer in unmittelbarer Umgebung Rintelns um 1350 zugunsten der Stadt verlassen wurden, erhielt Engern in dieser Zeit als Sitz eines Gogerichts zusätzliche Bedeutung.

Dabei musste sich das Dorf wie kaum ein anderes den Unbilden der Weser erwehren. Katastrophale Hochwasser und die Landabschwemmungen durch die Weser haben die Einwohner Engerns (Engeraner? Engerner?) zu allen Zeiten ganz besonders herausgefordert, zuletzt 1946, als das Dorf weitgehend unter Wasser stand und nur die Ortsmitte als Insel aus der Wasserwüste herausragte.

Aber der Fluss hat in Engern auch in positiver Weise für Abwechslung gesorgt. Die Flussfischerie in der Weser, in der sich bis vor einhundert Jahren noch zahlreiche Lachse tummelten und die Schifffahrt auf dem Strom, sorgten für zusätzliche Einnahmequellen. Der historische Treidelpfad an der Weser, den Landgraf Karl im Jahr 1711 aufwändig ausbauen ließ, ist erst vor zwei Jahren bei Baggerarbeiten wieder entdeckt worden. Er liegt etwa einen Meter unter dem heutigen Niveau des Weserradweges und war gepflastert und mit großen Grenzsteinen markiert, von denen einige im vergangenen Jahr wieder am Fluss aufgestellt wurden.

Noch einmal, im Jahr 1799 investierte die damals hessische Landesherrschaft eine größere Summe in die Infrastruktur in Engern. Damals baute man die Berliner Straße zur Chaussee, zur Westendorfer Landwehr aus, um Rinteln komfortabler mit Hameln und dem Steinberger Pass zu verbinden. Heute wurde sich wohl mancher Anwohner wünschen, das der Ort nicht ganz so verkehrsgünstig läge.

Eine Besonderheit der Engerschen Geschichte dieser Zeit darf natürlich nicht unerwähnt bleiben: Die legendären, auf den Wiesen inner- und außerhalb des Orts zahlreich weidenden Engerschen Gänse. Zur besonderen Verbreitung dieser gefiederten Tiere in Engern, wie auch in Steinbergen,  hat maßgeblich der Musterhof des schaumburg-lippischen Prinzen Hermann in Steinbergen beigetragen. Auf dem sogenannten „Prinzenhof" legte dieser wohltätige Spross des Fürstenhauses um 1880 eine vorbildliche Geflügelzucht an, die beispielhaft zur Hebung dieses Erwerbszweigs dienen sollte. Auch mehrere Geflügelzuchtvereine in Schaumburg gingen auf die Initiative seiner Durchlaucht zurück. Jedenfalls wurden die nunmehr mit bemerkenswertem Erfolg gezüchteten „Engerschen Göse" bald zu einem stehenden Begriff in der Umgebung und böse Zungen meinten damit nicht nur das zahlreiche Geflügel des Ortes.

Bis um 1880 war Engern ein echtes Bauerndorf, in dem fast ausschließlich die Landwirtschaft den Ton angab. Sogar eine eigene Tracht ist für die Zeit um 1850 überliefert und das Rintelner Museum bewahrt in seinem Bestand noch reich bestickte Hauben aus dieser Zeit auf, doch verschwanden diese Kleidungsformen schon bevor im benachbarten Schaumburg-Lippe die prächtigen Landestrachten durch das Fürstenhaus gefördert und populär gemacht wurden.

Sicherlich ging das Verschwinden der Engerschen Tracht auch mit dem rasanten Strukturwandel einher, den Engern in der zweiten Häfte des 19. Jahrhundert erlebte. Denn mit der Ansiedlung der Glashütte Stoevesandt in der Rintelner Nordstadt ließen sich nun zahlreiche Glasmacher und in ihrem Gefolge auch Korbflechter hier nieder, die für den Bedarf der Hütte arbeiteten. Bereits in der Kaiserzeit galt das Dorf daher als Hochburg sogenannter „sozialdemokratischer Umtriebe" und 1933 hatten die Nationalsozialisten hier ihre vehementesten Gegner. Zahlreiche Kommunisten und Sozialdemokraten aus Engern wurden verhaftet und in das sogenannte „Schutzhaftlager" Moringen gebracht.

Die zahlreichen Flüchtlinge die nach dem Krieg in Engern ihre neue Heimat fanden, haben den Wandel vom Bauerndorf zur Wohngemeinde vollendet. Neue Siedlungen, zahlreiche kleinere Handwerksbetriebe, ein Gemeindehaus, ein Feuerwehrhaus, der Sportplatz und vieles andere mehr haben aus Engern ein lebendiges Gemeinwesen mit besonderer Wohn- und Lebensqualität werden lassen.

Die wehmütigen Worte des Bürgermeisters Fritz Lahmann in der letzten Gemeinderatssitzung im Februar 1974 bevor Engern Teil der Stadt Rinteln wurde, waren sicher etwas zu pessimistisch: „Nun", klagte er damals, „sind die guten alten Zeiten ein für allemal vorbei. Wir wollen hoffen, dass auch Groß-Rinteln uns nicht vergisst!" Da war die große Mehrzweckhalle für Sport und öffentliche Veranstaltungen bereits im Bau.

Einige Eckdaten zur Geschichte Engerns

1881 Bau der Schule

1902 Gründung des Gesangvereins Concordia

1926 Gründung der Freiwilligen Feuerwehr

1952 Bau des Feuerwehrhauses

1956 Fertigstellung der Wasserleitung

1974 Bau der Mehrzweckhalle

1976 Eröffnung des Kirchzentrums St. Agnes

1990 Bau des Kindergartens

(Autor: Archivar Dr. Stefan Meier, September 2010)

 

 

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